Gedanken zum Bujinkan

Meine Gedanken zum Bujinkan
Mein Lehrer Martin bat mich vor einiger Zeit, meine Gedanken zum Bujinkan zu Papier zu bringen. Anfangs dachte ich, das wird leicht. Umso mehr ich allerdings darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass es nicht einfach wird, den richtigen Anfang zu finden. Mein Werdegang ist sicher keiner, der sich in irgendeiner Art und Weise vom Werdegang anderer Budoka abhebt. Deshalb schloss ich diese Art von Text früh aus. Auch eine Beschreibung meiner Gedanken zu bestimmten Techniken kam mir nicht richtig vor, da es zum einen eine Menge Beschreibungen dieser Art gibt und zum anderen eine Menge Leute, die dafür deutlich qualifizierter sind als ich. Nach einiger Zeit des Nachdenkens hatte ich dann ein Thema für diesen Text gefunden: Ich würde beschreiben, wie sich meine Einstellung zum Bujinkan im Laufe der Jahre verändert hat. Auch hier fiel mir der Anfang nicht wirklich leicht. Auch bei diesem Thema würde es sicher Punkte geben, die sich mit den Erfahrungen anderer überschneiden. Allerdings empfand ich den Gedanken daran bei diesem Thema als passender, wenn sich der ein oder andere Leser vielleicht darin wiederfinden würde. Also beschloss ich, es mit meiner „Einstellung“ zum Bujinkan zu versuchen.

Alles begann mit meiner Suche nach einer sportlichen Betätigung, die mir Freude bereiten und meinem Körper gut tun könnte. Ich weiß bis heute nicht, wieso ich damals beim Bujinkan hängengeblieben bin, denn diese Kunst war von Anfang an für mich harte Arbeit. Nichts funktionierte. Gut möglich, dass gerade diese Herausforderung der Grund war, der mich damals motiviert hat. Vielleicht wollte ich mir selbst beweisen, dass ich Dinge erlernen kann, die mir nicht liegen, solange ich nur den nötigen Willen dafür aufbringe. Bujinkan war anfangs in erster Linie ein Sport für mich, um meinen Körper zu kräftigen und meine Bewegungsfähigkeit zu erhöhen. Ja, heute liegt mir nichts ferner, als dass ich Bujinkan als einen Sport bezeichnen würde. Allerdings bestand damals das Bujinkan für mich eben vor allem aus diesem sportlichen Aspekt. Mehr Training führt zu höherer Ausdauer und Körperkraft und mehr Wissen um die Techniken, was dann zu höheren Chancen in Auseinandersetzungen führt. Ich denke, dass diese Sichtweise nach wie vor legitim ist, denn es ist ein Weg, den viele andere Menschen in unterschiedlichen Kampfsportarten gehen. Allerdings begann ich irgendwann damit, mich von dieser Einstellung zu lösen. Zum einen war ich nie ein Typ für solche Auseinandersetzungen und wenn ich ehrlich bin, habe ich in meinem ganzen Leben noch nie wirklich um meine Haut kämpfen müssen. Auch wenn das Kräftemessen mit meinen Trainingspartnern mir auch oft Freude bereitete, beschloss ich irgendwann, dass das so blieben soll, obwohl ich schon einige Male gehört habe, dass es wichtig ist, mal in einer richtigen Auseinandersetzung gewesen zu sein, um wirklich ein Kampfkünstler zu werden. Zum anderen durchlebt jeder Mensch gute und weniger gute Zeiten. Bei mir waren es weniger gute Zeiten, die die Frequenz meiner Trainingsbesuche ansteigen ließen. Auch erste Seminarbesuche öffneten mir langsam die Augen, so dass ich allmählich erkannte, dass Bujinkan mehr ist, als ein Sport. Über das Bujinkan lernte ich, Dinge zu erdulden, die ich nicht ändern kann. Außerdem fand ich eine Menge neuer Freunde, zunächst in Deutschland und ab einem gewissen Zeitpunkt auch aus einigen anderen Ländern. Von einem Sport entwickelte sich das Bujinkan zu einer Art Komfortzone, in der ich mich sehr wohl fühlte, obwohl das Training aus Schweiß, Tränen und manchmal auch aus Blut bestand. In dieser Zeit habe ich mir nie viele Gedanken darüber gemacht, was Bujinkan eigentlich bedeutet. Ich wusste nur, dass ich eine Kunst erlerne und keinem Sport mehr nachgehe. Dieser Gedanke war allerdings irgendwann nicht mehr genug. Spätestens an dem Punkt, an dem ich damit angefangen habe zu versuchen, andere für diese Kunst zu motivieren, musste ich mich wirklich damit auseinandersetzen, was das Bujinkan genau für mich bedeutet. Ich begann darüber nachzudenken, welche Dinge aus dem Bujinkan bewusst oder unbewusst in den Rest meines Lebens eingesickert sind. Bewusst habe ich zum Beispiel meine Körperhaltung und meine Bewegungen verändert. Immer wieder erwischte ich mich dabei, dass ich darüber nachdachte, wie ich mich gesünder, effizienter oder sicherer bewegen kann, obwohl ich nicht „im Training“ bin. Das war der Moment, in dem der Satz „wir sind immer im Training“ für mich auch endgültig mehr war als eine Floskel. Bujinkan hat mich gelehrt, dass es nicht nur in einem Kampf besser ist, die Ruhe zu bewahren und entspannt zu bleiben, sondern auch in anderen Konfiktsituationen. Das eigene Ego kann in vielen Situationen ein größerer Feind sein als das Gegenüber. Auch wenn gerade diese Aussage oft auch auf Seminaren fällt, denke ich, dass das eine sehr schwierige Erkenntnis ist. Ich habe mir von meiner ersten Japanreise zwei Worte mitgebracht, die am besten zusammenfassen, was mir im Bujinkan am wichtigsten ist: Nintai Jisei – Beharrlichkeit und Selbstbeherrschung. Allerdings möchte ich diese Worte nicht nur auf das Bujinkan beschränken, sondern es ist die Maxime, die ich auf mein Leben übertragen habe. Und das ist auch der Punkt, an dem die Grenze zwischen „Bujinkan“ und „Leben“ verschwimmt. Ich glaube nicht, dass das das Ende der Reise ist, was meine Einstellung zum Bujinkan betrifft. Allerdings fühlt es sich richtig an, dass die Einstellung, die ich zum Bujinkan habe, zu einer Einstellung geworden ist, die ich zum Leben habe. Beharrlichkeit hat mich zu diesem Punkt gebracht und Selbstbeherrschung ist die Belohnung, die ich für diese Beharrlichkeit erhalten habe. Auch dieser Satz fällt oft, wenn wir Lehrgänge besuchen: „Es gibt keine Abkürzung!“ Es gehört eine Menge Beharrlichkeit dazu, diesen langen Weg zu gehen und ich weiß, dass ich nicht einmal annähernd die Hälfte davon geschafft habe. Ich wünsche allen, die ich kenne, von Herzen diese Beharrlichkeit. Die Belohnung, die auf dem Weg wartet ist sicher nicht immer die gleiche und vielleicht kommt sie auch nicht immer in der gleichen Reihenfolge.


Tobias Zimmer, 24.09.2019
Nidan Bujinkan Budo Taijutsu